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Koramu-Sonderausgabe

Artikel erstellt von Jens Sobotta am 19.03.2011
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Der Kolumnist Nicholas Kristof von der New York Times schrieb, dass er 1995 für die New York Times über das schwere Erdbeben in Kobe, das über 6000 Menschen das Leben kostete, in Japan-lebend über die Ereignisse berichtete. Als er wenige Tage nach dem Beben in das zerstörte Gebiet reiste, sprach er mit vielen Anwohnern, unteren anderem einem Ladenbesitzer, der – zur Überraschung von Kristof – als einziger von Plünderungen berichtete. Er fragte ihn, ob er überrascht davon sei, dass seine japanischen Landsleute einen persönlichen Vorteil aus dem Naturdesaster ziehen und eine Straftat begangen? Der Ladenbesitzer darauf nur: „Wer sprach denn von Japanern? Das waren Ausländer!“ Ohne jetzt auf die japanische Sicht mancher ausländischer Völker in ihrem eigenen Land einzugehen (das heben wir uns für ein zukünftiges Koramu auf), zeigt dieses Beispiel doch deutlich, wie stark der Zusammenhalt dieses Volkes in solch einer Situation ist. Im Japanischen gibt es das Wort „gaman“, welches man nicht unbedingt ins Deutsche übersetzen kann. Es steht dafür, dass man gegen etwas widerstandsfähig bzw. hartnäckig und robust ist; so hart eine Situation erscheinen mag, mit ihr lebt und sie zum Besten wendet. Etwas, was die Menschen in Kobe 1995 gemacht haben (nachdem das Krisenmanagement der Regierung nicht funktionierte und die Yakuza einsprang) und die Menschen auch nach den aktuellen Vorfällen machen werden. So hart die aktuelle Situation auch für sie sein mag, ich verwette vieles darauf, dass wir noch einiges von den Japanern lernen werden. Und sei es nur ihre innere Ruhe sowie Gelassenheit. Denn sind wir mal ehrlich, würde solch ein schlimmes Unglück in einem anderen Land, zum Beispiel Deutschland oder den USA passieren, wäre auf den Straßen – bewusst überspitzt ausgedrückt – Mord und Totschlag... Ich hielt mich jedenfalls deutlich besser von den internationalen Medien wie der BBC, der New York Times, vor allem aber NHK World informiert, die spürbar neutraler und mit weniger Spekulationen über die Lage berichtet haben und auch noch immer tun. Ein Totalausfall war die deutsche Berichterstattung in den letzten Tagen natürlich auch nicht. Phoenix ging zum Beispiel deutlich besser an die Sache als ein n-TV oder N24 heran. Besonders informativ waren die Erklärungen des Journalisten und Physikers Ranga Yogeshwar, der die kompliziertesten Vorgänge simpel und schnell auf den Punkt erklärt und dabei nicht in wilden Spekulationen verfällt. Sicherlich der beste Mann, den die ARD fast schon in der Dauerschleife vors Mikrofon kriegen konnte. Dass nicht nur meine Wenigkeit das so sieht, zeigt ein aktueller Artikel des Spiegels.

Katastrophen sind ein fester Bestandteil der japanischen Popkultur. Seien es Filme, Spiele, Anime oder Manga – die Köpfe hinter diesen Medien spielen mit der Phantasie der Apokalypse. Das neben King Kong wohl bekannteste Filmmonster Godzilla ist beispielsweise ein Symbolbild für die Atombombe. Von dieser erschaffen und erweckt stapft er unaufhaltsam durch Tokyo, mit einer Vorliebe für Hochhäuser und in den späteren Filmen auch Atomkraftwerken. In mühsamer Handarbeit wurden Miniaturen der bekanntesten Städte Japans erstellt, durch die dann ein Mann im Gummianzug stapft. Mal alleine, mal im Kampf mit einem anderen Monster. So haben die Filmemacher auch auf Umweltprobleme aufmerksam gemacht. In Godzilla vs. the Smog Monster (Gojira tai Hedora) von 1971 muss die Riesenechse Japan vor einem Monster, welches durch die Umweltverschmutzung entstanden ist, bewahren. Am Ende rettet er Japan vor seinem Untergang und wirft einen drohenden Blick auf die Menschheit, die realisieren muss, dass Umweltschutz ein ernstes Thema ist. Trashig und ein klassischer B-Movie, doch nicht weniger effektiv. Deutlich ernster ist da Sinking of Japan, ein Katastrophenfilm aus dem Jahr 2006, der ähnliche Szenen zeigt wie sie sich vor wenigen Tagen in Japan abgespielt haben, nur das im Film der komplette Untergang der Insel droht. Alles dreht sich im Film dann um die Reaktion der Bevölkerung: Evakuierung, Angstbewältigung, zwischenmenschliches. Daneben geht es natürlich auch um die Versuche, das scheinbar Unvermeidliche doch aufzuhalten, was letztlich durch den Heldentod und der, so makaber das klingen mag, Atomenergie gelingt. Begleitet wird das Ganze von stetigen Tsunamis und Erdbeben, die effektvoll über den Bildschirm peitschen, aber dennoch nur ein Mittel zum Zweck bilden. Vielmehr geht es den Japanern um die Darstellung des Miteinanders, der Bewältigung solch einer Situation, das Zusammenhalten wie Zusammenarbeiten beim erneuten Aufbau. Das ist es, was sie in die Kinos gelockt hat, das ist es, was sie sehen wollten. Müsste man diesen und viele andere Filme dieser Art mit nur einem Wort umschreiben, so wäre es wohl „gaman“.

Kultur dient als gesunde Auslebung der Phantasie, der Bewältigung von Dingen, nicht nur in Japan. Oftmals auch aus der anderen Perspektive, etwa der Bewältigung von Schicksalsschlägen. Der Anime Barefoot Gen von Masaki Mori aus dem Jahr 1983 ist nicht nur einer der wenigen Anime, der sich nicht nur mit dem Schicksal von Hiroshima beschäftigt, sondern auch ziemlich drastisch mit dem Augenblick der Bombenexplosion etwas zeigt, was in Realfilmen überhaupt nicht darstellbar wäre. Was folgt ist die Schicksalsbewältigung nach dem Schrecken: „gaman“.

Eingangs dieses Koramus sprach ich von meinen Gefühlen. Betroffenheit, Entsetzen, aber auch Wut. Wut zum einen auf manche Medien, etwa N24 oder das ZDF, welche die Schreckensbilder mit melancholischer Musik untermalten, als würde es sich um einen Film handeln und man mit den Emotionen der Zuschauer spielen müsste. Zum anderen auf so manche Terraner, die nichts anderes zu tun haben, als dumme Kommentare über Twitter und andere Plattformen zu veröffentlichen. Da wären zum Beispiel die Amerikaner, die mit Sprüchen wie „Karma is a bitch“ oder „Das ist die Strafe für Pearl Harbor“ um sich warfen. Wirklich? WIRKLICH? Manchmal frage ich mich echt, ob es eine Grenze für die menschliche Dummheit gibt, obwohl Albert Einstein diese Frage eigentlich schon beantwortet hatte:

„Zwei Dinge sind unendlich, das Universum und die menschliche Dummheit, aber bei dem Universum bin ich mir noch nicht ganz sicher.“

Beim Angriff der japanischen Streitmächte auf Pearl Harbor wurden am 7. Dezember 1941 rund 2400 Amerikaner getötet. Nun ist Japan für seine Gräueltaten, unter anderem an China sowie Korea, bekannt, für die es mitunter nicht mal Entschuldigungen oder konkrete Erwähnungen in den eigenen Schulgeschichtsbüchern gab. Dass Leute in solchen Situationen aber überhaupt an diese Dinge denken, vergessen was ihr Volk dem Volk, welches sie gerade verachtend kommentiert haben, angetan hat (Hiroshima, Nagasaski), geht einfach nicht in meinen Kopf hinein. Man mag es auf die Debilität einiger dieser Menschen schieben, auf ein schlechtes Bildungssystem, oder einfach der fehlenden Gabe zu verstehen, dass diese Dinge vergessen und Völker wie die USA und Japan seit Jahren verbündete sind. Selbstredend denken nicht alle Amerikaner so, sondern nur ein winziger Bruchteil, was die Sache zwar nicht besser macht, aber solche Menschen gibt es eben auch. Auch von Deutschen habe ich Kommentare wie „Mit den Japanern habe ich kein Mitleid, denn die jagen und töten auf bestialische Weise Wale und Delphine“ gelesen, die mich aus mehreren Gründen nur kopfschüttelnd und ratlos zurücklassen. Übrigens: Zum 11. September 2001 gab es auch aus Deutschland ähnlich schlimme Kommentare wie von den „Karma is a bitch“-Spinnern. Da wurde gesagt, dass es den „Amerikanern die Terrorattacke recht geschieht“, oder man „kein Entsetzen haben kann, da auf die täglichen Todesopfer in Afrika auch keiner schaut“. Muss ich das weiter kommentieren, oder darf ich einfach Einstein noch mal zitieren?

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